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Die neue “Prüfung Wirtschaftsdeutsch International"

Hans Walter Frischkopf, Montreal

Verschiedene kanadische Universitäten ebenso wie Goethe-Institute bieten seit Jahren jenen, die ihre allgemeinsprachliche Kompetenz in Deutsch als Fremdsprache fachsprachlich erweitern wollen, Kurse in Wirtschaftsdeutsch an. Solche Kurse stellen eine Bereicherung des Kursangebots für jene dar, die vorhaben, ihre Sprachkenntnisse im internationalen Geschäftsleben anzuwenden. Es versteht sich, dass es dabei von Vorteil ist, wenn StellenbewerberInnen ihre fachsprachliche Kompetenz mit einem international anerkannten Zeugnis nachweisen können. Zu diesem Zweck wurde in den achtziger Jahren die “Prüfung Wirtschaftsdeutsch International” entwickelt, die in Kanada seit 1993 jährlich durchgeführt wird und seither von knapp 200 KandidatInnen erfolgreich abgelegt wurde. Seit 1999 gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, schon mit geringerer fachsprachlicher Kompetenz das “Zertifikat Deutsch für den Beruf” (ZDfB) zu erwerben. Es sei dabei betont, dass weder das eine noch das andere Zeugnis eine Berufsausbildung bestätigt; aber zusammen etwa mit einem universitären Grad können solche international anerkannten Zeugnisse nur von Vorteil sein.

Die “Prüfung Wirtschaftsdeutsch International” (PWI, vom Goethe-Institut leider entgegen international üblichen Regeln für Akronyme als PWD bezeichnet, wobei ironischerweise gerade die I-Komponente, d.h. die internationale Dimension, wegfällt) wurde Ende der neunziger Jahre revidiert und liegt seit 2000 in einer neuen Version vor, nach der ab Frühjahr 2002 auch in Kanada geprüft wird. Diese neue Version soll im Folgenden vorgestellt werden.

Träger

Träger der neuen PWI sind, wie dies schon bei der alten Version der Fall war, das Goethe-Institut in München – inzwischen Goethe-Institut Inter Nationes genannt –, der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) in Berlin und die Carl Duisberg Centren in Köln. Diese Träger verschaffen der weltweit nach einheitlichem Standard durchgeführten PWI internationale Anerkennung. Gegenüber dem ZDfB, das vom Goethe-Institut zusammen mit dem Deutschen Volkshochschul-Verband entwickelt wurde und auf einer niedrigeren fachsprachlichen Ebene angesiedelt ist, hat die PWI den Vorteil, dass der DIHT, also der Dachverband der deutschen Industrie- und Handelskammern, der um die 3 Millionen Unternehmen vertritt, dahinter steht, was bei Stellenbewerbungen ein nicht zu unterschätzender Vorteil sein dürfte.

Ziel, Zielgruppen und sprachliches Niveau 

Mit der PWI soll der Nachweis erbracht werden, dass man die deutsche Sprache im Beruf in Wort und Schrift flexibel, effektiv und handlungsorientiert verwenden kann. Die Prüfung können Erwachsene ablegen, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen und sich die entsprechende fachsprachliche Kompetenz erworben haben. Die Prüfungsinhalte sind so gestaltet, dass im wesentlichen zwei Zielgruppen angesprochen sind, nämlich KandidatInnen mit und ohne Praxiserfahrung in einem Unternehmen. Man trägt damit dem Umstand Rechnung, dass in Nordamerika und anderswo - wohl entgegen ursprünglichen Erwartungen bei der ersten Version der PWI - hauptsächlich Studierende und sehr viel weniger Berufstätige die PWI ablegen. Was die sprachlichen Voraussetzungen angeht, ist die Prüfung etwa auf dem Niveau der Zentralen Mittelstufenprüfung des Goethe-Instituts angesiedelt. Die Erfahrung zeigt, dass Studierende an kanadischen Universitäten die PWI in der Regel nach zwei einsemestrigen Wirtschaftsdeutschkursen, die auf mindestens 250 Kontaktstunden allgemeinsprachlichen Unterrichts aufbauen, bestehen können. 
 


 
 
 
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Vorausgesetzte Basiskenntnisse

Die fachsprachliche Ausrichtung der PWI wird deutlich, wenn man sich ansieht, was für Sachkenntnisse vorausgesetzt werden. Dazu gehören Grundkenntnisse in folgenden Bereichen:

· Marketing: Dazu zählen die Bereiche Markt (u.a. Marktbeobachtung, -forschung und -position), Produkt (Produkteinführung, -entwicklung und -planung), Distribution (u.a. Vertrieb, Handelsformen, Absatzmittler und Verkaufsniederlassungen, Franchising und Joint Venture), Kontrahierung (Auftragsabwicklung, internationaler Zahlungsverkehr und Güterverkehr und Logistik) und schließlich Kommunikation, womit im PWI-Handbuch (s.u.) Präsentationen, Messen und Ausstellungen und Werbung gemeint sind.

· Management: Dieser Stoffkomplex umfasst die Bereiche Unternehmensorganisation (Rechtsformen, Organisationsstrukturen, Informationsfluss, Unternehmenskooperation, Führungsleitsätze und -stile, Projektmanagement u.a.), Personal (Personalentwicklung, Bewerbung und Einstellung, Arbeitsvertrag, Aus- und Fortbildung, Mitbestimmung u.a.) und Rechnungswesen (Bilanz: Jahresabschluss und Gewinn-/Verlustrechnung).

· Rahmenbedingungen: Darunter fallen die Bereiche Wirtschaftsgeographie, nationale und internationale Organisationen (Auslandshandelskammern, Industrie- und Handelskammern und die Europäische Union) und Volkswirtschaft, worunter laut Stoffplan Konjunktur, Banken, Börsen und Währung fallen.

(Eine ausführlichere Auflistung findet sich im PWI-Handbuch (S. 23), auf das sich die vorliegende Darstellung der PWI stützt.)

Der Schwerpunkt liegt also im Bereich der Betriebswirtschaft; volkswirtschaftliche Themen werden nur am Rande mit einbezogen. Im Vergleich zur alten PWI lässt sich feststellen, dass der Stoffplan der neuen PWI etwas eingeschränkter ist und einen schärferen Fokus aufweist. Man sieht aber, dass auch die neue PWI in Bezug auf die Breite der erwarteten Kenntnisse sehr anspruchsvoll ist und manche - Lernende wie Lehrende - auf den ersten Blick abschrecken mag. Zwar wird betont, dass nur Grundkenntnisse und ein Verständnis von Grundzusammenhängen erwartet wird; die Frage aber, wie eng oder wie weit der Begriff “Grundkenntnisse” gefasst wird, bleibt offen.

Prüfungsformat

Die PWI-KandidatInnen sollen zu folgenden Aktivitäten in der Lage sein: Informationen sammeln, organisieren und vermitteln; Korrespondenz erledigen; Unternehmens- und Produktpräsentationen verstehen und geben; Berichte und Protokolle auswerten und zusammenfassen und schließlich Gespräche, Besprechungen und Verhandlungen führen. Die neue PWI enthält entsprechend die folgenden Komponenten, von denen jede eine Gewichtung von 25% hat:

Schriftliche Prüfung:
· Leseverstehen (75 Min.)
· Hörverstehen (60 Min.)
· Schriftlicher Ausdruck (45 Min.)

Mündliche Prüfung:
· Mündliche Kommunikation (20 Min.)


 
 
 
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Im einzelnen sehen die Prüfungsformen und -inhalte wie folgt aus:
1. Leseverstehen: Dies wird in vier Subtests geprüft, in denen es um Folgendes geht:
· selektive Informationsentnahme (Notizen schreiben)
· detaillierte Informationsentnahme (richtig-falsch ankreuzen)
· Entnahme von Hauptinformationen (Zuordnung)
· Verwendung von Fachwortschatz im Kontext (Mehrfachwahlaufgabe)
2. Hörverstehen: In drei Subtests sollen die PWI-KandidatInnen zu Folgendem in der Lage sein:
· Entnahme von Meinungen und Begründungen (Mehrfachwahlaufgabe)
· Entnahme von Informationen und Handlungsanweisungen (Notizen schreiben)
· Zusammenfassung aus den Notizen eines gehörten Textes (freies Formulieren in der Landessprache bzw. auf Deutsch)
3. Schriftlicher Ausdruck
Hier wird die Erstellung einer schriftlichen Äußerung (Kontaktschreiben, Einladung, Anfrage, Pressemitteilung etc.) verlangt. (freies Formulieren nach Leitpunkten)
4. Mündliche Kommunikation: Dieser Prüfungsteil enthält die folgenden drei Subtests:
· Vorstellung der eigenen Person im professionellen Kontext 
· Präsentation eines Unternehmens (anhand von Graphiken, Kuchendiagrammen etc.)
· Argumentation im Rahmen eines Fallbeispiels
Vergleich zwischen der alten und der neuen PWI

Im Vergleich zur alten PWI sieht das neue Prüfungsformat in verschiedenen Punkten anders aus. Der schriftliche Prüfungsteil dauert nach wie vor insgesamt 180 Minuten. Von den vier schriftlichen Prüfungen der alten PWI (Fachlexik, Leseverständnis, Textzusammenfassung in der Landessprache und Geschäftsbrief) fällt nun die Komponente “Textzusammenfassung in der Landessprache” ganz weg. Dies ist durchaus zu rechtfertigen, stellte sich doch bei der alten PWI die Frage, wieweit es berechtigt sei, in einer Prüfung, die die fachsprachliche Kompetenz im Deutschen zum Gegenstand hat, die fachsprachliche Kompetenz der PrüfungskandidatInnen in ihrer Landessprache (Englisch bzw. Französisch in Kanada) zu bewerten. 
 


 
 
 
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Der Teil “Fachlexik”erscheint in der neuen PWI als einer der vier Subtests in der Kategorie “Leseverstehen”. Der Fachwortschatz wird nun ausschließlich im Kontext geprüft (Lückentext, wobei für jede Lücke drei Wahlmöglichkeiten gegeben sind). Der Prüfungsteil “Fachlexik” war bei der alten PWI wohl der problematischste, insofern z.B. in einigen Prüfungsformen Fachwortschatz ohne jeden Kontext geprüft wurde und die Gewichtung der einzelnen Aufgaben sehr arbiträr und unproportioniert war. Es lässt sich aber auch feststellen, dass dem Fachwortschatz in der neuen PWI weniger Gewicht gegeben wird: Während in der alten PWI der Fachwortschatz 100 aus insgesamt 400 Punkten des schriftlichen Prüfungsteils ausmachte, zählt nun der Fachwortschatz 40 aus 100 Punkten in der Kategorie “Leseverstehen”, bzw. 40 aus 400 Punkten des gesamten schriftlichen Prüfungsteils. 

Was das Leseverstehen angeht, wurde dieses in der alten PWI an Hand eines einzigen Textes geprüft, während es in der neuen PWI gleich in vier Subtests nachzuweisen ist. Neu ist ferner, dass nun das Hörverstehen als Teil der “schriftlichen” Prüfung getestet wird, während es in der alten PWI implizit als Teil der mündlichen Prüfung beim Geschäftsfall bewertet wurde. In Bezug auf den Prüfungsteil “Schriftlicher Ausdruck” ist sehr zu bedauern, dass die Bewertung nach vier Kriterien (Umsetzung der Aufgabenstellung, Textaufbau, Ausdruck und sprachliche Richtigkeit) bei der vorgegebenen Punktskala (0-5 Punkte) sehr viel weniger differenziert ausfallen muss, als dies bei der alten PWI der Fall war, wo die Skala für einzelne Kriterien von 0-20 Punkte reichte. Hinzu kommt, dass bei der neuen PWI die erreichte Punktzahl mit 5 multipliziert werden muss, um auf die maximale Punktzahl 100 zu kommen. Die “Unschärfe” wird damit noch potenziert.

Beim mündlichen Prüfungsteil fällt zunächst auf, dass er nun nur noch 20 Minuten dauert, wo die drei Prüfungsteile (Gelenktes Gespräch, Textzusammenfassung eines landessprachlichen Textes auf Deutsch und Geschäftsfall) bei der alten PWI 30 Minuten dauerten. Das mag mit praktischen Erwägungen der Prüfungsdurchführung zusammenhängen, wo Prüfende an Prüfungszentren mit vielen PWI-KandidatInnen eine kürzere Prüfungszeit für die mündliche Prüfung schätzen mögen. Was die Bewertung (nach den Kriterien Umsetzung der Aufgabenstellung, Gesprächsfähigkeit, Ausdruck, sprachliche Richtigkeit und Aussprache / Intonation) angeht, ist auch hier, wie beim “schriftlichen Ausdruck”, ein Mangel an möglicher Differenziertheit festzustellen. 

Materialien 

Für die neue PWI stehen die folgenden Materialien zur Verfügung, die über das Goethe-Institut bzw. über den Max Hueber Verlag bezogen werden können:

· Modellsatz 0.1: Kandidatenblätter, Prüferblätter (ISBN 3-933115-64-7)
· Modellsatz 0.1.: Hörkassette (ISBN 3-933115-65-5)
· Handbuch: Prüfungsziele, Testbeschreibung (ISBN 3-933115-66-3)
· Trainingsmaterial für Prüfer (ISBN 3-933115-67-1)
· Prüfungsordnung

 
 
 
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Es sei darauf hingewiesen, dass das PWI-Handbuch von Michaela Perlmann-Balme besonders nützlich ist. Hier wird die Konzeption der neuen PWI ausführlich dargestellt und begründet. Es findet sich dort z.B. eine relativ ausführliche Beschreibung der in der PWI nachzuweisenden Kompetenzen (Fach-, Methoden-, Sozial- und sprachliche Kompetenz). Das Handbuch enthält ferner u.a. eine nützliche Liste von Ausdrucksmitteln in beruflichen Situationen und eine Auswahlbibliographie für PWI-Vorbereitungskurse, in der Unterrichtsmaterialien und Literatur für Lehrende zur Kursvorbereitung verzeichnet sind. Was die Unterrichtsmaterialien angeht, gibt es bis jetzt nur ein einizges kurstragendes Lehrwerk, das explizit beansprucht, gezielt auf die neue PWI vorzubereiten. Es handelt sich um das vom Goethe-Institut und vom DIHT herausgegebene Lehrwerk Wirtschaftskommunikation Deutsch in 2 Bänden (mit Begleitmaterial) von Volker Eismann (Langenscheidt, 2000), das im Anhang auch einen Modelltest der neuen PWI enthält. In diesem Zusammenhang sei auch auf zwei nützliche Internetadressen hingewiesen: 
· www.goethe.de/z/pruef/depangeb.htm#pwd
Hier finden sich u.a. Prüfungsbeispiele. 

· www.goethe.de/uk/ney/enswirtd.htm
Business German / Wirtschaftsdeutsch: Textbooks and Available Additional Teaching Materials, Goals, International Examinations (zusammengestellt und kommentiert von Irene Spiegelman): Diese ausführliche Darstellung ist sehr zu empfehlen.

Abschließend sei festgehalten, dass die neue PWI stärker praxisbezogen, mehr handlungsorientiert und didaktisch im allgemeinen differenzierter ausgedacht und entwickelt ist als die alte PWI. Wie sie sich in der Durchführung bewährt, wird die Praxis zeigen. Es wäre zu begrüßen, wenn die neue Version der PWI der Nachfrage nach Wirtschaftsdeutschkursen in Kanada neuen Auftrieb geben und das Interesse an der PWI fördern würde. Wer sich ein PWI-Zeugnis erworben hat, qualifiziert sich damit bei einer Stellenbewerbung eindeutig besser.

 
 
 
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Neue Adressen in der virtuellen Welt 

Wolfgang Krotter, Montreal
 
Virtuelle Adresse
Beschreibung/Bemerkungen
1. DaF im engeren Sinne
www.daf-portal.de Linksammlung, Jobbörse, Newsletter uvm. 
www.daf-ticker.de Neuigkeiten rund um DaF
www.daf-news.de Aktuelle Termine, Neuerscheinungen usw. 
www.presentersuniversity.com Wertvolle Tipps zum Präsentieren
2. Landeskunde
www.szenesprachen.de Wie sprechen Jugendliche in Deutschland heute
www.derweg.org/mwbildun/grafik.htm Graphische Darstellung des deutschen Bildungssystems
www.rechtschreibreform.com/ Neue Orthographie--Diskussionen ohne Ende
www.iik-duesseldorf.de/archiv/2001/kurse/00sq 14 QuebeckerInnen beim Kurs Erlebte Landeskunde in Düsseldorf
www.goethe.de/z/50/euroquiz/go.html Schön gemachtes Euroquizz auf den Goethe-Seiten
3. Studium, Forschung und Beruf
www.gateway-to-germany.de
www.studienwahl.de
www.daad.de
Studium in Deutschland
www.research-in-germany.de Forschung in Deutschland
www.auswaertiges-amt.de AA mit Links zu den Botschaften 
www.europa.eu.int Mehrsprachiger Server der EU mit Links zu Institutionen
www.ahk.de Deutsche Auslandshandelskammern
www.europages.com Mehrsprachiges Verzeichnis europäischer Unternehmen
www.iep-berlin.de Institut für europäische Politik
www.zew.de Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung
www.zei.de Zentrum für europäische Integrationsforschung
4. E-Learning/WebEducation/TeleLearning
www.edulinks.de Informationen zu Telelernen und Internet
www.vikar.de Virtueller Hochschulverbund Karlsruhe
www.vhb.org Gemeinsamer Internetauftritt der Hochschulen Bayerns
www.on-campus.de Zwölf Fachhochschulen und zwei Universitäten aus sieben Bundsländern bieten zukünftig ein Online-Fernstudium
www.vg-u.de Virtual Global University: Wirtschaftsinformatiker aus Deutschland, Polen, Schweiz, Österreich
www.cuber.net Von der EU gefördertes Projekt Cuber soll der Anerkennung der Studienleistungen in ganz Europa die Türen öffnen
www.fernuni-hagen.de Seit 25 Jahren die Fernuniversität in Deutschland
www.klett-training.de Online-Nachhilfeservice: Tutoren werden per Kreditkarte bezahlt
www.akademie.de Fort- und Weiterbildung für Erwachsene in verschiedenen Lernbereichen
5. Welt des Computers
www.netzero.net Kostenloser Internetzugang (mit Werbung) oder relativ günstig (ca. $14/Monat, sehr wenig Werbung, schnellere Verbindung)
www.yahoo.com Yahoo-E-mail (für POP und Internet-E-mail). 
Zuverlässiger und relativ günstiger Website-Host
www.bell.ca/icd Anrufe werden auf dem Bildschirm angezeigt, wenn man gerade Online ist ($5/Monat)
www.panicware.com Software, die Pop-up-Werbung entfernt (für Internet Explorer auf PC)
www.software.xfx.net Siehe oben: noch gerissener
6. FFF--Freizeit - Familie - Fernweh
www.clubphoto.com
www.shutterfly.com
Webseite, auf der man seine digitalen Photos abstellen und mit anderen teilen kann--kostenlos und einfach zu bedienen
www.oag.com Hier kann man sich über die aktuellen Ankunftszeiten oder Flugstornierungen usw. für (fast) alle Flüge informieren

 


 
 
 
 
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Europaprojekte im Deutschunterricht

Bernd Schliephake, Mississauga

Im Folgenden sind einige Ideen aufgeführt, wie das Thema Europa abwechslungsreich und handlungsorientiert im Unterrricht bearbeitet werden kann.

1. Ein Traum halb und halb: Bitte schreiben Sie einen der Träume zu Ende:

Neulich träumte ich, ich sei halb Engländer/in und halb Spanier/in (Kanadier/in -Deutsche/r
etc.). Das fand ich gut/schlecht, denn dadurch hatte ich folgende Vorteile/Nachteile:

Sprache              Ferien              Essen             Trinken            Schule             Kultur 

             Freunde            Geld              Krieg/Frieden       Verwandtschaft         Heimat

Klima                   Technik              Verkehr               Fernsehen                     Umwelt 

Hierbei wird fundiertes landeskundliches Wissen vorausgesetzt, damit die unterschiedlichen Aspekte sinnvoll verglichen werden können.

2. Das europäische Haus:

Man spricht oft vom europäischen Haus. Wie stellen Sie sich dieses Haus vor? Füllen Sie es mit Leben: Zeichnungen, Sprüche , Spiele, Assoziationen, Anregungen, Bilder  etc.

3. Das “ideale Europaland”:

a) Sammeln Sie das Beste von allen europäischen Ländern und vereinen Sie es in einem Phantasieland: Essen, Landschaften, Klima, Sprache, Ferienzeiten, Sport, Persönlichkeiten, Literatur, Filme, Fernsehprogramme.

b) Lassen Sie ihrer Phantasie freien Lauf und erschaffen Sie ein "märchenhaftes" Schlaraffenland.

4. Reiseziel Europa:

Wählen Sie ein Land, das Sie gerne kennenlernen möchten, und sammeln Sie Informationen über dieses Land im Internet, in Reisebüros, Reiseführern etc. 

5. Projekt “Europa vor der Tür” 

Wo gibt es “Europäisches” in Ihrer Stadt? Sammeln Sie Informationen und berichten Sie darüber! (Heimatclubs, Restaurants, Spezialitätenläden, Firmen, Fernsehprogramme, Zeitungen, Kulturinstitute etc.)
 


 
 
 
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6. "Mein Land in Europa” (Text- und Bildcollage):

Die Text -und Bildcollage kann auf ganz unterschiedliche Weise gestaltet werden. Hier sind einige Vorschläge:

  • Sie sind Journalist/in bei einem Reisemagazin und müssen eine interessante Seite gestalten.
  • Sie sind eine berühmte Persönlichkeit in “Ihrem Land” und stellen das Land vor.
  • Sie sind ein Star unter den lokalen Fernseh-Quizmastern und machen ein Quiz zu “Ihrem Land”
  • Sie sind ein bekannter Kriminalroman-Autor und schreiben den Anfang eines Krimis, der in “Ihrem Land” spielt.
7. Essen in Europa:

Sammeln Sie Rezepte und stellen Sie Ihre europäische Lieblingsspeise vor.

8. Musik in Europa:

Machen Sie eine musikalische Reise durch Europa mit klassischen Beispielen und den "Hits" von heute. Kommentieren Sie Ihre Auswahl.

9. Asterix in Europa:

Der kleine Gallier ist viel in Europa herumgekommen (z. B. bei den Schweizern, den Briten etc.) und hat dabei viele Abenteuer erlebt. Begleiten Sie ihn bei einer seiner vielen "Expeditionen" durch europäische Länder und beschreiben Sie seine Erlebnisse.


Vom Wort zum Text. Zielgerichtetes Schreiben im Deutschunterricht

Bernd Schliephake, Mississauga

1, 2 ,3, 4, 5 ,6, 7 - in der Schule wird geschrieben…

Seitdem das Thema Schreiben im Fremdsprachenunterricht in der Fachdidaktik seit Anfang der neunziger Jahre wieder mehr ins Blickfeld gerückt ist, findet man in den neueren Lehrwerken sowie in Einzelpublikationen immer mehr Übungen zur Fertigkeit Schreiben. Das war nicht immer so. Eine Zeitlang schien Schreiben im Sprachlernprozess nur Mittel zum Zweck zu sein und nur in seltenen Fällen auch das eigentliche Ziel. In Lehrbüchern wie Themen und Deutsch konkret z. B. wurde dem kommunikativen Aspekt absoluter Vorrang eingeräumt. In der Sprachbrücke dagegegen gibt es von Anfang an eine Progression für Schreiben als Zielfertigkeit, und auch in Sowieso spielt Schreiben eine wichtige Rolle. Die "Wiederentdeckung des Schreibens" ist einerseits auf neuere Forschungsergebnisse der Sprachwissenschaft und Erkennntnisse der Lernpsychologie zurückzuführen, und andererseits hat nicht zuletzt die Veränderung von Kommunikationsbedürfnissen durch Computer etc. dazu beigetragen, dass Schreiben wieder als modernes Kommunikationsmedium gilt.

Vom Wort zum Satz zum Text ist die Kurzformel für ein methodisch-didaktisches Konzept des Schreibens im Deutschunterricht. Es soll die Lerner dazu führen Teilkompetenzen aufzubauen, die sie benötigen, um immer bessere und komplexere Texte zu schreiben. Im Folgenden werden einige Beispiele vorgestellt, die dieser Progression entsprechen.
 


 
 
 
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Der Wortschatz ist das Wichtigste an der Sprache. Ohne Wörter gibt es keine Sprache und kein Schreiben. Mangelnde Wortschatzkenntnisse können den Schreibprozess erheblich behindern. Empirische Untersuchungen von fremdsprachlichen Schreibprozessen haben dann auch gezeigt, dass rund die Hälfte aller Probleme, die während des Schreibvorgangs auftreten, Wortschatzprobleme im weitesten Sinn sind, während es nur einen ausgesprochen geringen Anteil von grammatischen Problemen gibt. Diese Ergebnisse legen nahe, Wortschatzübungen im Bereich vorbereitender Aktivitäten in allen Lernstufen eine wichtige Stelle einzuräumen.

1. Vorbereitende Übungen mit Wörtern

Die Übungen zeigen:

- wie der für die Textproduktion notwendige Wortschatz erarbeitet, erweitert und geübt werden kann.
- wie bereits erworbenes Wissen aktiviert wird
- wie Rechtschreibung sinnvoll geübt wird
a) Wörterschlangen

Thema: Schule
Schreibe die Wörterschlange weiter

B L E I S T I F T
 E
 H A U S M E I S T E R
 R       A
 E       T
 R       H
         E
         M
         A
         T
         I
         K

b) Wortraster

Thema: Freizeit
Suche zu jedem Buchstaben ein Wort, das zum Thema Freizeit passt. Du kannst auch im Wörterbuch nachschlagen.

F E R N S E H E N                   F A U L E N Z E N
A                                   A U S F L U G
H                                   H
R                                   R E S T A U R A N T
R                                   E
A B E N T E U E R                   N
D I S C O 
 


 
 
 
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c) Wörter aus…

10 einzelne Buchstaben werden vorgegeben und die Schüler müssen daraus Wörter bilden. Jeder Buchstabe darf pro Wort nur einmal verwendet werden. Unter den 10 Einzelbuchstaben sollten mindestens 2-3 Vokale sein.

A                                    S                                           W
                M                                          L
K                                    U                                           E
                T                                           I

Ast, Wal, Stau, Wut, Takt, Maus, Kiste, alt, kalt, Mut, Akte etc.

Bei den oben genannten Beispielen werden nur Einzelwörter geübt. Texte leben jedoch von der Kombination verschiedener Wörter, z.B. von Substantiven und Verben oder Adjektiven, die zueinander passen.

d) Wortkombinationen

Suche Kombinationen von Substantiven und Verben (gegebenenfalls auch mit Präposition), die zusammenpassen.

Thema: Tagesablauf
Schuhe, Zähne, Fenster putzen; Essen, Suppe, Reis kochen; Brief, E-Mail schreiben; zur Schule, zum Zahnarzt, einkaufen gehen; Hose, Hemd, Schuhe anziehen; Freundin, Arzt, Schwester anrufen; Hausaufgaben, Bett, sauber machen; Buch, Zeitung, Brief lesen etc.

e) Assoziogramm

Hierbei handelt es sich um spontane Einfälle oder Gedanken. Wörter, Sätze Sprichwörter oder Redewendungen werden zu einem vorgegebenen Stichwort, Bild, Gegenstand etc. gesammelt. Auf einer komplexeren Ebene werden die Wörter inhaltlich geordnet. Bezugsbündel entstehen, weitere Assoziationsketten können anschließen. Schließlich kann eine Handlung skizziert werden, die dann schrittweise ausformuliert wird, und als Endergebnis entsteht ein Text.

Thema: Weihnachten
                                                       Weihnachtsbaum
                       Schnee                                                                     Geschenke
                                                           Weihnachten
                        Marzipan                                                                 Kerzen
                                                          Heiligabend

2. Vom Wort zum Satz

a) Satzschlange

Ein Wort ist vorgegeben, z. B. "Ein…" Es wird ein Wort gesucht, dass an "Ein" anschließt: z. B. "Ein Schüler…" In Partner- oder Kleingruppenarbeit wandern die Blätter von einem Schüler zum anderen und ein Satz entsteht.

b) Wortsätze

Ein Wort ist vorgegeben, z. B. Ring. Aus den Buchstaben dieses Wortes soll ein Satz gebildet werden, z. B.: Rudi isst Nudeln gern.

c) Konnektoren

Konnektoren sind die Verbindungsteile zwischen zwei Sätzen, z. B. Konjunktionen. Konnektoren fungieren über die Satzgrenze hinaus und spielen somit eine wichtige Rolle bei der Textproduktion.
 


 
 
 
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Übungen: Aus einem Text werden alle Konnektoren gestrichen. Die Schüler müssen die passenden Konnektoren einsetzen. Die Schüler sollen aus einer Gruppe von Kernsätzen längere Satzgefüge oder Satzreihen konstruieren.

d) Mehrsatzübungen

Eine Folge von Sätzen, die inhaltlich zusammengehören, wird vorgegeben. Die Schüler suchen erst die Verweisformen und die sie substituierenden Formen.

z. B. : Peter spielt am liebsten Tennis. Es gefällt ihm am besten.

Peter         ihm
Tennis       es

3. Gesteuerte Textproduktion

An dieser Stelle geht es darum, dass der Schreibprozess bei der Produktion von Texten so gesteuert wird, dass die Schüler schrittweise zu größerer sprachlicher Komplexität gelangen. Dabei tritt der reproduktive Anteil zugunsten des produktiven Schreibens immer stärker in den Hintergrund.

e) Zusammenfassung

Die Schüler schreiben eine Zusammenfassung eines kurzen Zeitungsartikels mit Hilfe der sechs "W-Fragen" (Wer? Wo? Was? Wie? Wann? Warum?)

f) Paralleltext

Die Schüler erstellen, ausgehend von einem Text, z. B. einem Märchen, einen Paralleltext mit variiertem Inhalt, aber mit den gleichen Strukturen.

g) Perspektivenwechsel

Eine Geschichte wird aus der Perspektive einer anderen Person erzählt, z. B "Hänsel und Gretel" aus der Perspektive der Stiefmutter.

h) Bildergeschichten

Bildergeschichten eignen sich sehr gut dazu, den Schreibprozess zu steuern, weil sie den Handlungsablauf vorgeben. 

Mögliche Aufgaben:- Bildsalat und Textsalat: Was gehört zusammen?

- Dialoge erfinden (Sprechblasen)
- Die Geschichte über das Ende hinaus weitererzählen.
- Zwei Bildgeschichten mischen und eine neue Geschichte erfinden.

 
 
 
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4. Kreatives Schreiben

Beim kreativen Schreiben sind die Schüler frei von lenkenden Aufgaben. Die Schüler drücken das aus, was sie wollen und können. Der selbst bestimmte Inhalt motiviert, sich beim Schreiben persönlich einzubeziehen. In den Texten vermitteln die Schüler ihre Gedanken, Empfindungen, Erfahrungen, Erinnerungen und Meinungen. 

i) Figurengeschichten

Jeder denkt sich eine Figur aus, stattet sie mit allen charakteristischen Merkmalen aus, notiert diese und schreibt eine Geschichte zu der Figur.

j) Wer? Wo? Was? - Geschichten

Jeder in einer Tischgruppe bekommt drei leere Zettel in verschiedenen Farben (z. B. gelb, grün und weiß). Auf den gelben Zettel wird der Name einer Person , auf den grünen Zettel ein Ort und auf den weißen Zettel ein Typ von Geschichten (z.B. Krimi, Liebesroman, Abenteuergeschichte etc.) geschrieben. Die Zettel werden in der Tischgruppe innerhalb der Farben gemischt, dann zieht jeder aus dem Stapel einen Zettel und muss nun eine Geschichte nach den Vorgaben erfinden.

k) Problemgeschichten

Jeder denkt sich eine Figur aus und erfindet dazu eine Handlung, die sie oder er bis zu einem konflikthaften Punkt schreibt und dann abbricht. Die Geschichtenanfänge werden nun ausgetauscht, und jeder schreibt die Geschichte einer oder eines anderen zu Ende.

l) Autobiographie in fünf Sätzen

Beschreibe dein bisheriges Leben in fünf Sätzen! Das ist gar nicht leicht, weil du nur wenige Aussagen machen kannst, die aber besonders charakteristisch sein müssen bzw. sollten. Du kannst einen Mini-Bericht, ein Gedicht oder eine Erzählung schreiben, denn die Länge und die Art der Sätze bleiben dir überlassen. Nur: Es dürfen nicht mehr als fünf sein.

m) Ich wollt', ich wär'…

Dieser Liedanfang handelt von dem Wunsch, eine ganz andere, ein ganz anderer oder etwas ganz anderes zu sein. Jeder überlegt, wer oder was er gerne wäre und erfindet dazu eine Geschichte.

n) Schlagzeilen-Geschichte

Jeder sucht sich aus einer deutschen Zeitung (Internet) eine interessante, außergewöhnliche, lustige, traurige etc. Schlagzeile aus und erfindet dazu eine Geschichte.
 

Literatur

Fritzsche, J. (1989): Schreibwerkstatt. Geschichten und Gedichte: Schreibaufgaben, -übungen, -spiele. Stuttgart: Klett.

Kast, B. (1999): Fertigkeit Schreiben. Berlin, München: Langenscheidt.

Müller, B. D. (1994): Wortschatzarbeit und Bedeutungsvermittlung. Berlin, München: Langenscheidt.

Mummert, I. (1989): Freies Schreiben mit Phantasie. Literarisches Schreiben 
im Deutschunterricht. In: Fremdsprache Deutsch, Heft 1/1989: "Schreiben", S.17-22.

Pommerin, G. (1996): Tanzen die Wörter in meinem Kopf. Kreatives Schreiben für den DaF-Unterricht. Ismaning: Hueber.
 


 
 
 
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LITERATUR UND MEHR

Aus dem Regen zurück.
Die neue Lebendigkeit der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

Martin Hielscher, Deutschland

Die deutschsprachige Gegenwartsliteratur hat sich in den letzten Jahren eindrucksvoll zurückgemeldet, d.h. ein bestimmter Strang von ihr, der jahrelang vom Erzähltabu, einer ins Reaktionäre gewendeten Interpretation der Ästhetik Adornos, einer asketischen und übellaunigen Verdammung aller kulinarischen Elemente der Literatur und einem teilweise schizoiden Umgang mit den eigenen Autoren durch die hiesige Kritik ausgebremst und verhindert worden ist.

Andauernd wurde die Literatur abgeschafft: Phasenweise durch die 68er, später durch eine Form der Austrocknung, wie sie im Gefolge der Akademisierung des literarischen Gesprächs und des Selbstverständnisses mancher Autoren um sich griff, immer wieder gern auch im Namen der neuen elektronischen Medien, aber nicht nur das Buch, sondern auch die erzählende Literatur haben sich als unverwüstlich erwiesen. Meine These ist, dass sich hinter dem wie auch immer begründeten Gestus der Abschaffung, ob er sich fortschrittlich gab oder halb melancholisch, halb euphorisch in den Verlauf des Epischen einwilligte, um sich auf der Höhe der Zeit zu wähnen, etwas anderes durchsetzte - nämlich der durch die unmittelbare Vergangenheit begründete Wunsch, die Geschichte und die quälenden und aufregenden Fragen von Schuld und Verantwortung auszublenden, von Mitläufertum, von Täter- und Opfergedächnis, von Kontinuität und Brauch, von Überleben und Untergang.

Alle narative Literatur, alles romanhafte Erzählen ist Erzählen von familären, familienähnlichen Zusammenhängen, in denen sich Biographien und Geschichte kreuzen, sich Geschichte als plot und Historie zugleich verwebt und das eine aus dem anderen entspringt. Die große epische Literatur ist immer die andere Geschichtsschreibung gewesen, sie hat immer in der je historisch angemessenen Form den schicksalhaften Zusammenhang von individueller Biographie und Historie zu fassen versucht, und damit mußte sie gleichsam Familiengeschichte sein.

In Deutschland hieß das nach 1945, heißt das bis heute in sehr vielen Fällen aber, Geschichten von Tätern und Mitläufern zu erzählen. Maxim Biller hat wiederholt darauf hingewiesen, daß sich in der deutschen Literatur auch dort, wo sie über Täter sprach, eine Opferperspektive einschlich, die eine Art sekundärer Entlastung gewährte. Aber auch in jener abstrakt - asketischen, selbstreferentiell - erzählfeindlichen Literatur, wie sie lange Jahre das Lieblingskind eines Teils der Kritiker und der Preisjurys gewesen ist, und in der dazugehörigen Theorie oder Pseudotheorie spinnt sich unerkannt jener Wunsch nach Entlastung und Vergessen fort. Und so wie die Vergangenheit zum weißen Fleck einer gedächtnislosen Gesellschaft wird, so wird auch das widersprüchlich-lebendige, auf die Zukunft verweisende Bild der Gegenwart noch mehr zerredet, zerstört, in die Nichterkennbarkeit transponiert, als es die fragmentierte Erfahrung und deren mediale Überlagerung überhaupt zwingend erscheinen lassen.

Die Verneinung der erzählenden Literatur ist also die Verneinung der Geschichte und damit der Frage nach Opfern und Tätern, nach Widerstand und Zukunft, nach Fatalität und Subversion, nach neuen Lebensentwürfen und Auswegen aus der Logik der Katastrophe, die geradezu das Herzstück der traditionellen Theorie der Moderne ausmacht. Daß der Faden der Narrativität zerrissen werden sollte und zerrissen wurde, war der Versuch, aus dem ganz unmittelbar biographischen, familiären Zusammenhang einfach auszusteigen.
 


 
 
 
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Dieser für das intellektuell-moralische Klima in Deutschland typische Vorgang der Abstraktion, der Vermeidung, hat aber zugleich das geistige Leben und die überschwenglich von den Vermeidern geförderte Literatur selbst mit Abstraktion geschlagen, mit Inhaltslosigkeit und bloßer Virtuosität, ohne daß die in einer Art permanenter Trockenübung erprobten Mittel wirklich etwas aufschließen konnten. Virtuosität ist ein notwendiges Mittel, als Gehalt ist sie der Feind der Kunst. 

Nachdem vor rund zehn Jahren, ausgelöst von Maxim Biller und Frank Schirrmacher, eine Debatte über den Zustand der deutschsprachigen Literatur entstand (sie ist dokumentiert in dem von Andrea Köhler und Rainer Moritz herausgegebenen Band Maulhelden und Königskinder. Zur Debatte über die deutschsprachige Gegenwartsliteratur, Reclam, Leipzig 1998), die bis vor kurzem intensiv fortgeführt wurde, stellt sich das Bild dieser Literatur inzwischen ganz anderes dar, so daß es möglich wurde, daß der Spiegel in seiner Ausgabe Nr. 41/ 99, die zur Buchmesse 1999 erschienen ist, auf dem Titel sechs junge Autoren als "die neuen deutschen Dichter" und die "Enkel von Grass & Co." abbilden und Volker Hage in der Titelgeschichte mit Recht von einer neuen Generation sprechen konnte, die "lustvoll erzählt".

So wichtig diese Literaturdebatte war und ist, weil sie Einspruch erhob gegen ein von der mißverstandenen Moderne und unerkannten apologischen Bedürfnissen getragenes Erzähltabu und Argumente dagegen zur Verfügung stellte, so wenig hat sich allein durch sie das Bild der Literatur verändert, auch wenn sie sicherlich eine Aufmerksamkeit geschaffen hat, die überhaupt den neuen Mut vieler Verlage, deutschsprachige Gegenwartslitertur zu veröffentlichen, möglich machte. Aber was sich verändert hat, ist zweierlei: die Geschichte selbst und das Selbstverständnis der Autoren.

Mit dem Zusammenbruch der Ostblock-Staaten 1989, der neuen Dynamik in der Geschichte und den damit einhergehenden, teilweise dramatischen Veränderungen von Biographien und Lebensentwürfen ist dem Erzählen eine neue Notwendigkeit zugewachsen und eine kollektive Erfahrung, die zur narrativen Verdichtung zwingt. Zugleich war die Nachkriegsgeschichte mit dieser Zäsur abgeschlossen und rückte neu in den Blick. Ob es die Tätergeschichten waren, die plötzlich, als müßte eine bestimmte Zeit vergehen, bevor sich das Trauma von Apologie und Verdrängung löst, zum Thema von Romanen wurden, wie in Marcel Beyers Flughunde oder Bernhard Schlinks Der Vorleser, in Judith Kuckarts Die schöne Frau oder in Jens Sparschuhs Der Schneemensch, oder die unmittelbare Nachkriegszeit selbst, in der noch alles offen schien oder die Konturen der Kontinuität sich erst abzuzeichnen gegannen, auch die Konturren einer möglichen Subversion, wie in Heinrich Bölls erst 1992 veröffentlichtem Roman Der Engel schwieg, der schon 1946 entstanden war, in Hans-Ulrich Treichels Der Verlorene oder Uwe Timms Die Entdeckung der Currywurst, ob die Wendegeschichte als Farce erzählt wurde wie in Helden wie wir, als dunkle Komödie in Christoph Brummes Tausend Tage, als Weltalltag und in die Ewigkeit reichende Momentaufnahme aus der ostdeutschen Provinz in Ingo Schulzes Simple Stories, als nachböllsche komisch-melancholische Burleske wie in Jens Sparschuhs Der Zimmerspringbrunnen, ob westdeutscher Nachwende-Alltag als apokalyptische Posse erschien wie in Matthias Altenburgs Landschaft mit Wölfen, in minutiöser und ironischer Versenkung ins scheinbar banale Detail in der Liebes- und Dinggeschichte von Burkhard Spinners Langer Samstag oder als schwermütig-scharfsinniger und witziger Abgesang auf ein häßliches Land wie in Christian Krachts Faserland - eindrucksvoll zeigen diese hier exemplarisch genannten Titel, wie das Erwachen aus der Stockung des historischen Prozesses auch der Literatur neue epische Akzente verlieh. 

Eine so grandiose, die ganze deutsche Geschichte dieses Jahrhunders umfassende, ausschweifende Darstellung einer weiblich gelesenen Historie wie die von Kathrin Schmidts Gunnar-Lennefsen-Expedition zeugt von diesem neuen epischen Atem, der sich aber auch auf ganz andere Art in großen und kleinen Entwürfen mit Jugend- und Adoleszenzerfahrungen in West- und Ostdeutschland befasste, die nach dem Ende der Nachkriegsperiode selbst zur Vorgeschichte geworden sind, wie in Katja Lange-Müllers Verfrühte Tierliebe, Matthias Polityckis Weiberroman, Christoph Heins Von allem Anfang an oder Ralf Rothmanns letzten Romanen.
 


 
 
 
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Alle diese Bücher arbeiten an dem, was Uwe Timm "die Wandlung des Alltags in Bedeutung" nannte, wobei sie ganz unterschiedliche literarische Stategien gewählt haben, aber gemeinsam ist ihnen - so artistisch sie wie etwa bei Politycki auch sein mögen - eine Art realistischer "Erdung" ihrer Texte, die Rückkehr von Erfahrung in einen zeitweilig ganz und gar entleerten Diskurs. Die erzählerische Literatur von Jureck Becker bis Monika Maron, von Gerd Fuchs bis Peter Härtling, von Ernst Augustin bis Uwe Timm, von Gert Hofmann bis Renate Feyl, von Peter Schneider bis Dieter Wellershoff hat es, um nur einige Namen zu nennen, immer gegeben, abgesehen von Heinrich Böll, Günter Grass, Martin Walser, Christa Wolf und Uwe Johnson, aber entweder bestand über viele Jahre keine ästhetische Verbindung mehr zwischen den älteren und jüngeren Autoren, oder die erzählerischen Ansätze wurden als solche oft schon vom Wertekanon des literarischen Diskurses latent abqualifiziert. Die Aufmerksamkeit für Peter Handke und Botho Strauß überlagerte stets, was so herausragende Autoren wie Robert Menasse oder Helmut Krausser schrieben, Maxim Biller oder Hansjörg Schertenleib. Dass die Literatur, die zum Vorbild deklariert wurde, sich nicht selten als unsinnlich, selbstreferentiell- theoretisch, erfahrungslos und leserabweisend erwies, führte zu einem teilweise dramatischen Desinteresse beim Buchhandel und den Lesern und zu fast völliger Ablehnung im Ausland, die interessanterweise seit einigen Jahren wieder einer verstärkten Neugierde gewichen ist.

Als 1995 Christian Krachts Roman Faserland erschien, war der Autor 28 Jahre alt. Das war ungewöhnlich in einem Literaturbetrieb, der mit seiner verquasten Vermeidungsrhetorik, seiner Abwehr zeitgenössischer Erfahrung, seiner Ferne zu Fernsehen, Mode, Pop, Unmittelbarkeit, Alltag und gesprochener Sprache - wenn nicht gerade Peter Rühmkorf auf der einen und Uwe Timm auf der anderen Seite dazwischenfunkten - für junge Autoren nicht gerade einladend wirkte.

Offenbar gibt es aber inzwischen auch eine neue Generation von Autoren, die sich vom bis dahin herrschenden Diskurs nicht mehr prägen oder einschüchtern ließen. Seit Faserland ticken die Ohren anders. Autorinnen und Autoren wie Elke Naters, Alexa Hennig von Lange, Benjamin von Stuckrad-Barre, Thorsten Krämer, aber auch Silvia Szymanski und Sibylle Berg, Sven Lager und Tobias Hülswitt sind ohne diesen Roman nicht zu denken oder ohne das Klima, das Faserland geschaffen hat. Selten hat ein Debütroman so kontroverse, teilweise haßerfüllte Reaktionen hervorgerufen, selten ist ein Text so schlecht und falsch, so voller Ressentiment und ideologischer Abwehr verworfen worden, während er gleichzeitig sehr schnell zu einem Kultbuch wurde, das aus der Literaturgeschichte nicht mehr wegzudenken sein wird.

Der greise Gregor von Rezzori, der durch Zufall die Fahnen des Romans zu lesen bekam, schrieb: "Diese Präzision der Wahrnehmung einer Welt, die nur noch aus Markenartikeln besteht, diese Hellwachheit in der Leere, die Verdammnis zu kollektiven Banalitäten und das feine Unterscheidungsgefühl dabei - das habe ich noch nirgendwo so glasklar dargestellt gefunden."

Das Bemerkenswerte an Faserland, abgesehen von dem Witz, der genauen Beobachtungsgabe, dem kunstvoll-leichten Parlando-Ton, dem perfekten Gebrauch der Alltagssprache - und hier läßt das Vorbild Uwe Timm grüßen, dessen Bücher wie ganz wenige andere für viele der jungen Autorengeneration maßgeblich sind -, ist der Mut, sich ohne festgezurrten Standpunkt auf die Welt der Jetztzeit, mit ihren Schönheiten und Schrecken, einzulassen, ohne Katastrophenprogramm, aber den Katastrophen nicht ausweichend, melancholisch, aber ohne den Vernichtungsfuror, der im Gefängnis eines verkalkten Modernismus haust.
 


 
 
 
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Kracht ist ein Moralist wie Bret Easton Ellis oder Michel Houllebecq, über den Thomas Steinfeld in der FAZ schrieb, daß mit Elementarteilchen eine "vormoderne Aufgabe von Dichtung mit großer Kraft" zurückkehre: "die Literatur als moralische Anstalt".

Aber dieser Moralismus ist bei Ellis und Kracht einer, der keine Instanz außerhalb setzt, sondern jenseits der großen Koordinatensysteme wie die Peilung der Federmäuse durchs Dunkel führt. Das Inventar, durch das die Reise von Krachts Protagonisten führt, ist das der unmittelbaren Jetztzeit, die in ihren Widersprüchen und Zwängen, in der Häßlichkeit und vereitelten Sehnsucht Gestalt gewinnt und doch die Kälte und Komik, den forschenden Blick auf die Oberflächen, das Gehör für das Geplapper ihre Erdenschwere verliert und ins Schweben gerät.

Über diese "Ästhetik des Augenscheins" schrieb Iris Radisch in der "ZEIT": "Ihr Nichtangriffspakt mit der Welt ist die Voraussetzung, sie so kalt zu beschreiben, wie sie vermutlich ist. Die schnöde, respekt- bis mitleidlose Weise, in der sie (die gesprochenen Autoren, M.H.) sich dieser Aufgabe entledigen, ist partisanenhaft und überdies kulturkritischer, als die amtliche Kulturkritik sich träumen läßt".

Zu den wichtigen Autoren, die sich auf ganz singuläre Weise der Jetztzeit widmen und sich partisanenhaft darin tummeln, gehören auch Thomas Kapielski auf der einen und Rainald Goetz auf der anderen Seite, komische oder rauschhaftbegeisterte Gottessucher und Mystiker alle beide und von einer Präsenz, die wie eine Arschbombe in den lauwarmen Tümpel des deutschen Literaturbetriebs platzt.

Daß es seit Faserland, nicht davon ausgelöst, sondern gleichsam gleichursprünglich, wieder junge Autoren gibt - Benjamin Lebert, Zoë Jenny, Judith Hermann, Jenny Erpenbeck, Julia Franck, Benjamin von Stuckrad-Barre, Thorsten Krämer, Feridun Zaimoglu, Karen Duve, Tanja Dückers, Sabine Reber, Terézia Mora oder Tobias Hülswitt - ist an sich noch kein literarischer Verdienst, aber ein hoffnungsvolles Zeichen neuer Lebendigkeit und der Überwindung einer lebensfernen Ästhetik der mißverstandenen Moderne. Zum ersten Mal seit langem findet die Gegenwartsliteratur dieser verkalkten Republik damit wieder den Anschluß an Entwicklungen im europäischen und anglo-amerikanischen Literaturbetrieb, der uns immer prägt, ohne daß wir ihn stark prägen konnten - bis auf die Ausnahmen etwa von Heinrich Böll, Günter Grass, Christa Wolf, Patrick Süskind, Uwe Timm, Josef Haslinger, Ingo Schulze, Robert Schneider, Marcel Beyer, Lilian Faschinger und jetzt Bernhard Schlink, Benjamin Lebert, Zoë Jenny, Christian Kracht und Elke Naters.

Der Vorwurf, daß die zeitgenössische Erzählliteratur dabei weit hinter ein schon erreichtes Erzählniveau zurückfalle, ist abgesehen von der problematischen geschichtsphilosophischen Argumentation, die immer noch am banalen Modell der Linearität haftet, schlicht falsch. Die Autoren, die sich von der selbstreferentiellen Konzeptliteratur befreit haben, schreiben nicht dümmer, unreflektierter, sind nicht unbewandert und naiv, sondern sie gehen auf eine ironische, intelligente, aber unideologische und unverkrampfte Art mit der Literaturgeschichte um, wählen im übrigen eine ganze Vielzahl von literarischen Strategien, so daß man die Literatur der neunziger Jahre sicher nicht mehr in den Kategorien eines Dezennienstils wird beschreiben können.

Was sie interessiert und verbindet, sind narrative Modelle, die sich durchaus selbst reflektieren und ironisch brechen, ohne sich im fatalistischen Dunkel der Fragmentierung zu verlieren. Das Erzählen als Wissen um den Zwang, nach dem Ende der "großen Erzählungen" jedes Leben neu erfinden zu müssen, für das Opake unseres je gelebten Augenblicks neue poetische Modelle konstruieren und so etwas wie Zusammenhang neu setzen zu müssen, macht das Erzählen, abgesehen von seiner archaischen, kathartischen Funktion, unwiderstehlich.

Martin Hielscher ist Lektor für deutschsprachige Literatur im Verlag Kiepenheuer & Witsch.
 


 
 
 
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Kleinstaat, Kleinkunst, Kabarett - Der Schweizer Kabarettist Franz Hohler

Josef Schmidt, Montreal

Franz Hohler lernte ich als Germanistikstudent an der Universität Zürich in den sechziger Jahren kennen; bei einem Studentenfest brillierte er als geschätzter Unterhalter. Mit einem Gemisch von Staunen, Bewunderung und leisem Neid erfuhren wir dann  von seinem Entschluss, nicht wie wir seine Zukunft in irgendeiner Art von Lehrtätigkeit zu suchen, sondern - anstatt Literatur zu lehren - Literatur zu sein! Er brach sein Studium ab und begann eine Karriere als erfolgreicher Kabarettist - später auch als Buchautor und Fernsehprogrammgestalter.

Stichwort: Kleinstaat. Ist die Kleinstaatmentalität einerseits begrenzend, und zwar bis zur Engstirnigkeit, so ist andererseits ein solches Staatswesen sehr konkret, verbuchbar und man artikuliert seine Wertbegriffskrisen in sehr konkreter Weise. So findet eine von Hohlers Devisen, “Versöhnung von Ökonomie mit Ökologie”, ihren literarischen Ausdruck in seiner Wahlheimatstadt Zürich. Die Titelerzählung des Erzählungsbandes Die Rückeroberung (1984) schildert futuristisch, wie die hochzivilisierte Touristenstadt von Wolfsrudeln überfallen, lahmgelegt und schließlich von wilder Fauna überwuchert wird.  Im Roman Der neue Berg (5. Aufl., Luchterhand 1990) bricht in Zürich allmählich ein Vulkan aus, der die braven Schweizer in die Lage der Bürger von Pompej versetzt! Soziales Chaos ist die Folge. Friedrich Dürrenmatt ist offensichtlich nicht der einzige “Nestbeschmutzer” in Bezug auf dieses selbstkritische Thema einer sehr prekären Gegenwart und sozialen Begriffskrise. Der Geologiestudent Thomas, im Roman auf Zimmersuche in der teuren Stadt, meint einleitend allerdings satirisch:

Nur, es war unglaublich schwierig, in Zürich etwas zu finden, das zugleich geeignet und bezahlbar war, er dachte manchmal, der wirkliche geologische Unterbau dieser Stadt sei weder Kalk noch Mergel noch Molasse, sondern Geld. (S. 35)
Stichwort: Kleinkunst - oder Kunst für die Kleinen! Neben seiner Tätigkeit als Autor und Kabarettist hat Franz Hohler es fertiggebracht, sich ein Stammpublikum im wortwörtlichen Sinne heranzuziehen. Kinder, die früher seine Geschichten lasen und seine Fernsehprogramme anschauten, sind heute Erwachsene, die ihm treu geblieben sind. Lange vor Harry Potter berichtete z.B. die Geschichte von Tschipo (1978), wie ein Junge mit einer starken Phantasie durch seine  realistischen Träume seine Familie nahezu in die Verzweiflung treibt. Für die französische Fassung seines jüngsten Kinderbuches Wenn ich mir etwas wünschen könnte (Hanser, 2000), Les trois voeux de Barbara, hat er von der Kinderjury der Suisse Romande den “Prix Enfantaisie” erhalten.

Stichwort: Kabarettist. Wenn ich ihn literarhistorisch zu situieren versuche, liegen die Vergleiche nahe: In seinen subtilen Texten zu den Grotesken des modernen Lebens ist er ein Nachfahre von Robert Walser, des heiteren und hintersinnigen Schweizer Zeitgenossen von Franz Kafka. Wenn ich ihn etwas technischer “definieren” will, denke ich an Karl Valentin, mit dem er zwei grosse Gemeinsamkeiten teilt. Zum Einen ist es die Liebe zum Wortspiel, zum Kalauer, zum höheren Unsinn. Zum Andern ist es seine virtuose Handhabung von Musik, nicht nur des professionellen Cellos, sondern von allerhand Abarten des Instrumentariums der Instrumente. In Zürich, seinem Wohnort, ist er eine stadtbekannte Erscheinung, die zu Aufführungen mit dem Cello auf dem Rücken per Velo - Verzeihung: Fahrrad - aufkreuzt. Das Kabarett hat in der Schweiz eine feste Tradition. Nicht nur das “Cabaret Voltaire” von Hugo Ball zu DADA-Zeiten, sondern auch z.B. das “Cornichon” florierte zu Zeiten des Dritten Reiches und provozierte Einsprachen des deutschen Botschafters in der Schweiz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Themen natürlich allgemeiner, dafür in der Perspektive auch breiter. Und vielleicht kleinkarierter, aber auch brisanter. Denn im Kleinstaat, wo jeder alles weiss, ist diese im Karneval entstandene Kleinkunst ein blühendes Geschöpf, dem es an aktueller Nahrung nie fehlt. Doch Hohlers Melancholie und zeitkritische Angriffslust versuchen fast immer, das Lokale in einem universalen Rahmen satirisch darzustellen.
 


 
 
 
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Ausblick
Ich erlaubte mir, Franz Hohler direkt über seine jüngste Tätigkeit zu fragen, und er antwortete im Mai 2001. Sein jüngstes Programm, “Im Turm zu Babel”, ist die szenische Gestaltung eines Stellensuchenden, der sich als “General Entrance Desk Manager” - also als Portier - bewirbt. Doch das Vorstellungsgespräch findet mit einem Komputer statt, der einen Fragenkatalog nach dem “Tower of Babel Assistance Program” herunterrasselt. Beispiele:”Was stellen Sie sich unter einem Haftvermittler vor? Töten Sie gerne Insekten?”... Kein Wunder, dass die biblische Verfremdung sehr moderne postmoderne Töne annimmt! - Wie sein Landsmann und Kollege Emil hat Franz Hohler eine kulturelle Zweisprachigkeit, d.h. als freischaffender Künstler muss er sein Programm auch “hochdeutsch” für ein bundesrepublikanisches Publikum “übersetzen”, oder im Fachjargon: zu akkulturieren. Das bleibt leider manchmal ein “untranslatable”. Ein Beispiel aus seinem neuen Programm, in dem er die nuancierten Pointen für die hochdeutsche Fassung generalisieren musste:
Am Anfang sage ich, als Freischaffender müsse man sich schon Gedanken machen, wie es ab 60 einmal weitergehen solle, “wär weiss, öb mir d AHV (Schweizerische Alters- und Hinterlassenenversicherung, J.S.) je überchöme, und die ganz Zit chame au nid i d Bärge go wandere.” In der Schweiz reagieren die Leute auf die AHV-Bemerkung; diese Abkürzung ist zugleich zu einer Abkürzung für das Alter geworden; man hört in Gedanken alle Debatten im Parlament über die 9., 10. und 11. AHV Revision, ein endloses Thema, und bei der Bemerkung übers Wandern sehen die Leute im Geiste von Rentnern mit roten Socken überfüllte Postautos, das gibt eine starke Reaktion. Die deutsche Fassung: “Wer weiss, ob wir unsere Rente je bekommen, und die ganze Zeit kann man ja nicht in die Berge zum Wandern” hat die zwei Assoziationen nicht im Hintergrund (“Rente” ist allgemeiner, und “die Berge” als Mythos existieren nicht), die Reaktion bleibt aus.
Also ein klassisches interkulturelles Problem, dass regionale Mehrdeutigkeiten und Assoziationen dem “anderen” Publikum zuliebe unter den Tisch fallen! Aber sicher wird Franz Hohler mit seinem Kabarett in unserem multikulturellen Land eine starke Reaktion hervorrufen. Denn schliesslich haben wir auch in Kanada haufenweise alte Leute und Berge - aber auch Dinge, die es in der Schweiz nicht, und in Deutschland nur begrenzt gibt: Meer und Prärien und die Arktik... Lassen wir uns überraschen, wenn Franz Hohler bei uns im Oktober auftritt.

Literatur

Josef Schmidt, “Uneasy Feelings about the Small Country: The Works of Swiss Writer and Cabaret Artist Franz Hohler;” in Natur, Räume, Landschaften. 2. Internationales Kingstoner Symposium. Hrsg. Burkhardt Krause und Ulrich Scheck, München: iudicium, 1996, S. 235-246.

Franz Hohlers Auftritte in Kanada

Samstag, 20. Oktober, 20 Uhr, University of New Brunswick, Department of Mod. Langs, Fredericton, NB
Sonntag, 21.Oktober, 16.30 Uhr, Goethe-Institut Ottawa, 47 Clarence Street, Ottawa, Ont
Dienstag, 23. Oktober, 20 Uhr, Goethe-Institut Toronto, 163 King Street West, Toronto, On
Mittwoch, 24. Oktober, 17.30 Uhr Université de Montréal, Qc
Donnerstag, 25.Oktober, 20 Uhr, Bishop's University, Lennoxville, Qc
Freitag 26.Oktober, 20.30 Uhr, Goethe-Institut Montréal, bei APAQ
Samstag, 27.Oktober, 11 Uhr, Goethe-Institut Montréal: Kinderprogramm
 

Am Fenster
Franz Hohler, Zürich

Ich stehe am Fenster und schaue auf die Strasse hinunter.
Es ist Nachmittag.
Niemand ist zu sehen.
Da kommt Frau Kieser mit ihrem Hund an der Leine.
Es ist ein Schäferhund.
Von der anderen Seite kommt Herr Stark mit seinem Hund an der Leine. Es ist ein Dackel.
Die beiden Hunde bleiben stehen. Herr Stark und Frau Kieser bleiben auch stehen.
Der Schäferhund knurrt.
Der Dackel bellt.
Dann rennt der Schäferhund auf den Dackel zu und frisst ihn auf.
'Er will nur spielen!' ruft Frau Kieser.
Dem zeig ich's, sagt Herr Stark und frisst den Schäferhund auf.
Frau Kieser wird wütend. Sie rennt auf Herrn Stark zu, frisst ihn auf und geht zufrieden weiter.
Dann ist es wieder ruhig auf der Strasse

Abdruck mit Genehmigung des Autors


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