Vorausgesetzte Basiskenntnisse Die fachsprachliche Ausrichtung der PWI wird deutlich, wenn man sich ansieht, was für Sachkenntnisse vorausgesetzt werden. Dazu gehören Grundkenntnisse in folgenden Bereichen: · Marketing: Dazu zählen die Bereiche Markt (u.a. Marktbeobachtung, -forschung und -position), Produkt (Produkteinführung, -entwicklung und -planung), Distribution (u.a. Vertrieb, Handelsformen, Absatzmittler und Verkaufsniederlassungen, Franchising und Joint Venture), Kontrahierung (Auftragsabwicklung, internationaler Zahlungsverkehr und Güterverkehr und Logistik) und schließlich Kommunikation, womit im PWI-Handbuch (s.u.) Präsentationen, Messen und Ausstellungen und Werbung gemeint sind.(Eine ausführlichere Auflistung findet sich im PWI-Handbuch (S. 23), auf das sich die vorliegende Darstellung der PWI stützt.) Der Schwerpunkt liegt also im Bereich der Betriebswirtschaft; volkswirtschaftliche Themen werden nur am Rande mit einbezogen. Im Vergleich zur alten PWI lässt sich feststellen, dass der Stoffplan der neuen PWI etwas eingeschränkter ist und einen schärferen Fokus aufweist. Man sieht aber, dass auch die neue PWI in Bezug auf die Breite der erwarteten Kenntnisse sehr anspruchsvoll ist und manche - Lernende wie Lehrende - auf den ersten Blick abschrecken mag. Zwar wird betont, dass nur Grundkenntnisse und ein Verständnis von Grundzusammenhängen erwartet wird; die Frage aber, wie eng oder wie weit der Begriff “Grundkenntnisse” gefasst wird, bleibt offen. Prüfungsformat Die PWI-KandidatInnen sollen zu folgenden Aktivitäten in der Lage sein: Informationen sammeln, organisieren und vermitteln; Korrespondenz erledigen; Unternehmens- und Produktpräsentationen verstehen und geben; Berichte und Protokolle auswerten und zusammenfassen und schließlich Gespräche, Besprechungen und Verhandlungen führen. Die neue PWI enthält entsprechend die folgenden Komponenten, von denen jede eine Gewichtung von 25% hat: Schriftliche Prüfung: |
Im einzelnen sehen die Prüfungsformen und -inhalte wie folgt aus: 1. Leseverstehen: Dies wird in vier Subtests geprüft, in denen es um Folgendes geht:Vergleich zwischen der alten und der neuen PWI· selektive Informationsentnahme (Notizen schreiben)2. Hörverstehen: In drei Subtests sollen die PWI-KandidatInnen zu Folgendem in der Lage sein: Im Vergleich zur alten PWI sieht
das neue Prüfungsformat in verschiedenen Punkten anders aus. Der schriftliche
Prüfungsteil dauert nach wie vor insgesamt 180 Minuten. Von den vier
schriftlichen Prüfungen der alten PWI (Fachlexik, Leseverständnis,
Textzusammenfassung in der Landessprache und Geschäftsbrief) fällt
nun die Komponente “Textzusammenfassung in der Landessprache” ganz weg.
Dies ist durchaus zu rechtfertigen, stellte sich doch bei der alten PWI
die Frage, wieweit es berechtigt sei, in einer Prüfung, die die fachsprachliche
Kompetenz im Deutschen zum Gegenstand hat, die fachsprachliche Kompetenz
der PrüfungskandidatInnen in ihrer Landessprache (Englisch bzw. Französisch
in Kanada) zu bewerten.
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Der Teil “Fachlexik”erscheint in der neuen PWI als einer der vier Subtests in der Kategorie “Leseverstehen”. Der Fachwortschatz wird nun ausschließlich im Kontext geprüft (Lückentext, wobei für jede Lücke drei Wahlmöglichkeiten gegeben sind). Der Prüfungsteil “Fachlexik” war bei der alten PWI wohl der problematischste, insofern z.B. in einigen Prüfungsformen Fachwortschatz ohne jeden Kontext geprüft wurde und die Gewichtung der einzelnen Aufgaben sehr arbiträr und unproportioniert war. Es lässt sich aber auch feststellen, dass dem Fachwortschatz in der neuen PWI weniger Gewicht gegeben wird: Während in der alten PWI der Fachwortschatz 100 aus insgesamt 400 Punkten des schriftlichen Prüfungsteils ausmachte, zählt nun der Fachwortschatz 40 aus 100 Punkten in der Kategorie “Leseverstehen”, bzw. 40 aus 400 Punkten des gesamten schriftlichen Prüfungsteils. Was das Leseverstehen angeht, wurde dieses in der alten PWI an Hand eines einzigen Textes geprüft, während es in der neuen PWI gleich in vier Subtests nachzuweisen ist. Neu ist ferner, dass nun das Hörverstehen als Teil der “schriftlichen” Prüfung getestet wird, während es in der alten PWI implizit als Teil der mündlichen Prüfung beim Geschäftsfall bewertet wurde. In Bezug auf den Prüfungsteil “Schriftlicher Ausdruck” ist sehr zu bedauern, dass die Bewertung nach vier Kriterien (Umsetzung der Aufgabenstellung, Textaufbau, Ausdruck und sprachliche Richtigkeit) bei der vorgegebenen Punktskala (0-5 Punkte) sehr viel weniger differenziert ausfallen muss, als dies bei der alten PWI der Fall war, wo die Skala für einzelne Kriterien von 0-20 Punkte reichte. Hinzu kommt, dass bei der neuen PWI die erreichte Punktzahl mit 5 multipliziert werden muss, um auf die maximale Punktzahl 100 zu kommen. Die “Unschärfe” wird damit noch potenziert. Beim mündlichen Prüfungsteil fällt zunächst auf, dass er nun nur noch 20 Minuten dauert, wo die drei Prüfungsteile (Gelenktes Gespräch, Textzusammenfassung eines landessprachlichen Textes auf Deutsch und Geschäftsfall) bei der alten PWI 30 Minuten dauerten. Das mag mit praktischen Erwägungen der Prüfungsdurchführung zusammenhängen, wo Prüfende an Prüfungszentren mit vielen PWI-KandidatInnen eine kürzere Prüfungszeit für die mündliche Prüfung schätzen mögen. Was die Bewertung (nach den Kriterien Umsetzung der Aufgabenstellung, Gesprächsfähigkeit, Ausdruck, sprachliche Richtigkeit und Aussprache / Intonation) angeht, ist auch hier, wie beim “schriftlichen Ausdruck”, ein Mangel an möglicher Differenziertheit festzustellen. Materialien Für die neue PWI stehen die folgenden Materialien zur Verfügung, die über das Goethe-Institut bzw. über den Max Hueber Verlag bezogen werden können: · Modellsatz 0.1: Kandidatenblätter, Prüferblätter (ISBN 3-933115-64-7) |
Es sei darauf hingewiesen, dass das PWI-Handbuch von Michaela Perlmann-Balme besonders nützlich ist. Hier wird die Konzeption der neuen PWI ausführlich dargestellt und begründet. Es findet sich dort z.B. eine relativ ausführliche Beschreibung der in der PWI nachzuweisenden Kompetenzen (Fach-, Methoden-, Sozial- und sprachliche Kompetenz). Das Handbuch enthält ferner u.a. eine nützliche Liste von Ausdrucksmitteln in beruflichen Situationen und eine Auswahlbibliographie für PWI-Vorbereitungskurse, in der Unterrichtsmaterialien und Literatur für Lehrende zur Kursvorbereitung verzeichnet sind. Was die Unterrichtsmaterialien angeht, gibt es bis jetzt nur ein einizges kurstragendes Lehrwerk, das explizit beansprucht, gezielt auf die neue PWI vorzubereiten. Es handelt sich um das vom Goethe-Institut und vom DIHT herausgegebene Lehrwerk Wirtschaftskommunikation Deutsch in 2 Bänden (mit Begleitmaterial) von Volker Eismann (Langenscheidt, 2000), das im Anhang auch einen Modelltest der neuen PWI enthält. In diesem Zusammenhang sei auch auf zwei nützliche Internetadressen hingewiesen: · www.goethe.de/z/pruef/depangeb.htm#pwdAbschließend sei festgehalten, dass die neue PWI stärker praxisbezogen, mehr handlungsorientiert und didaktisch im allgemeinen differenzierter ausgedacht und entwickelt ist als die alte PWI. Wie sie sich in der Durchführung bewährt, wird die Praxis zeigen. Es wäre zu begrüßen, wenn die neue Version der PWI der Nachfrage nach Wirtschaftsdeutschkursen in Kanada neuen Auftrieb geben und das Interesse an der PWI fördern würde. Wer sich ein PWI-Zeugnis erworben hat, qualifiziert sich damit bei einer Stellenbewerbung eindeutig besser. |
Neue Adressen in der virtuellen Welt Wolfgang
Krotter, Montreal
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Der Wortschatz ist das Wichtigste an der Sprache. Ohne Wörter gibt es keine Sprache und kein Schreiben. Mangelnde Wortschatzkenntnisse können den Schreibprozess erheblich behindern. Empirische Untersuchungen von fremdsprachlichen Schreibprozessen haben dann auch gezeigt, dass rund die Hälfte aller Probleme, die während des Schreibvorgangs auftreten, Wortschatzprobleme im weitesten Sinn sind, während es nur einen ausgesprochen geringen Anteil von grammatischen Problemen gibt. Diese Ergebnisse legen nahe, Wortschatzübungen im Bereich vorbereitender Aktivitäten in allen Lernstufen eine wichtige Stelle einzuräumen. 1. Vorbereitende Übungen mit Wörtern Die Übungen zeigen: - wie der für die Textproduktion notwendige Wortschatz erarbeitet, erweitert und geübt werden kann.a) Wörterschlangen Thema: Schule
B L E I S T I F T
b) Wortraster Thema: Freizeit
F E R N S E H E N
F A U L E N Z E N
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c) Wörter aus… 10 einzelne Buchstaben werden vorgegeben und die Schüler müssen daraus Wörter bilden. Jeder Buchstabe darf pro Wort nur einmal verwendet werden. Unter den 10 Einzelbuchstaben sollten mindestens 2-3 Vokale sein. A
S
W
Ast, Wal, Stau, Wut, Takt, Maus, Kiste, alt, kalt, Mut, Akte etc. Bei den oben genannten Beispielen werden nur Einzelwörter geübt. Texte leben jedoch von der Kombination verschiedener Wörter, z.B. von Substantiven und Verben oder Adjektiven, die zueinander passen. d) Wortkombinationen Suche Kombinationen von Substantiven und Verben (gegebenenfalls auch mit Präposition), die zusammenpassen. Thema: Tagesablauf
e) Assoziogramm Hierbei handelt es sich um spontane Einfälle oder Gedanken. Wörter, Sätze Sprichwörter oder Redewendungen werden zu einem vorgegebenen Stichwort, Bild, Gegenstand etc. gesammelt. Auf einer komplexeren Ebene werden die Wörter inhaltlich geordnet. Bezugsbündel entstehen, weitere Assoziationsketten können anschließen. Schließlich kann eine Handlung skizziert werden, die dann schrittweise ausformuliert wird, und als Endergebnis entsteht ein Text. Thema: Weihnachten
2. Vom Wort zum Satz a) Satzschlange Ein Wort ist vorgegeben, z. B. "Ein…" Es wird ein Wort gesucht, dass an "Ein" anschließt: z. B. "Ein Schüler…" In Partner- oder Kleingruppenarbeit wandern die Blätter von einem Schüler zum anderen und ein Satz entsteht. b) Wortsätze Ein Wort ist vorgegeben, z. B. Ring. Aus den Buchstaben dieses Wortes soll ein Satz gebildet werden, z. B.: Rudi isst Nudeln gern. c) Konnektoren Konnektoren sind die Verbindungsteile
zwischen zwei Sätzen, z. B. Konjunktionen. Konnektoren fungieren über
die Satzgrenze hinaus und spielen somit eine wichtige Rolle bei der Textproduktion.
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Übungen: Aus einem Text werden alle Konnektoren gestrichen. Die Schüler müssen die passenden Konnektoren einsetzen. Die Schüler sollen aus einer Gruppe von Kernsätzen längere Satzgefüge oder Satzreihen konstruieren. d) Mehrsatzübungen Eine Folge von Sätzen, die inhaltlich zusammengehören, wird vorgegeben. Die Schüler suchen erst die Verweisformen und die sie substituierenden Formen. z. B. : Peter spielt am liebsten Tennis. Es gefällt ihm am besten. Peter
ihm
3. Gesteuerte Textproduktion An dieser Stelle geht es darum, dass der Schreibprozess bei der Produktion von Texten so gesteuert wird, dass die Schüler schrittweise zu größerer sprachlicher Komplexität gelangen. Dabei tritt der reproduktive Anteil zugunsten des produktiven Schreibens immer stärker in den Hintergrund. e) Zusammenfassung Die Schüler schreiben eine Zusammenfassung eines kurzen Zeitungsartikels mit Hilfe der sechs "W-Fragen" (Wer? Wo? Was? Wie? Wann? Warum?) f) Paralleltext Die Schüler erstellen, ausgehend von einem Text, z. B. einem Märchen, einen Paralleltext mit variiertem Inhalt, aber mit den gleichen Strukturen. g) Perspektivenwechsel Eine Geschichte wird aus der Perspektive einer anderen Person erzählt, z. B "Hänsel und Gretel" aus der Perspektive der Stiefmutter. h) Bildergeschichten Bildergeschichten eignen sich sehr gut dazu, den Schreibprozess zu steuern, weil sie den Handlungsablauf vorgeben. Mögliche Aufgaben:- Bildsalat und Textsalat: Was gehört zusammen? - Dialoge erfinden (Sprechblasen) |
4. Kreatives Schreiben Beim kreativen Schreiben sind die Schüler frei von lenkenden Aufgaben. Die Schüler drücken das aus, was sie wollen und können. Der selbst bestimmte Inhalt motiviert, sich beim Schreiben persönlich einzubeziehen. In den Texten vermitteln die Schüler ihre Gedanken, Empfindungen, Erfahrungen, Erinnerungen und Meinungen. i) Figurengeschichten Jeder denkt sich eine Figur aus, stattet sie mit allen charakteristischen Merkmalen aus, notiert diese und schreibt eine Geschichte zu der Figur. j) Wer? Wo? Was? - Geschichten Jeder in einer Tischgruppe bekommt drei leere Zettel in verschiedenen Farben (z. B. gelb, grün und weiß). Auf den gelben Zettel wird der Name einer Person , auf den grünen Zettel ein Ort und auf den weißen Zettel ein Typ von Geschichten (z.B. Krimi, Liebesroman, Abenteuergeschichte etc.) geschrieben. Die Zettel werden in der Tischgruppe innerhalb der Farben gemischt, dann zieht jeder aus dem Stapel einen Zettel und muss nun eine Geschichte nach den Vorgaben erfinden. k) Problemgeschichten Jeder denkt sich eine Figur aus und erfindet dazu eine Handlung, die sie oder er bis zu einem konflikthaften Punkt schreibt und dann abbricht. Die Geschichtenanfänge werden nun ausgetauscht, und jeder schreibt die Geschichte einer oder eines anderen zu Ende. l) Autobiographie in fünf Sätzen Beschreibe dein bisheriges Leben in fünf Sätzen! Das ist gar nicht leicht, weil du nur wenige Aussagen machen kannst, die aber besonders charakteristisch sein müssen bzw. sollten. Du kannst einen Mini-Bericht, ein Gedicht oder eine Erzählung schreiben, denn die Länge und die Art der Sätze bleiben dir überlassen. Nur: Es dürfen nicht mehr als fünf sein. m) Ich wollt', ich wär'… Dieser Liedanfang handelt von dem Wunsch, eine ganz andere, ein ganz anderer oder etwas ganz anderes zu sein. Jeder überlegt, wer oder was er gerne wäre und erfindet dazu eine Geschichte. n) Schlagzeilen-Geschichte Jeder sucht sich aus einer deutschen
Zeitung (Internet) eine interessante, außergewöhnliche, lustige,
traurige etc. Schlagzeile aus und erfindet dazu eine Geschichte.
Literatur Fritzsche, J. (1989): Schreibwerkstatt. Geschichten und Gedichte: Schreibaufgaben, -übungen, -spiele. Stuttgart: Klett. Kast, B. (1999): Fertigkeit Schreiben. Berlin, München: Langenscheidt. Müller, B. D. (1994): Wortschatzarbeit und Bedeutungsvermittlung. Berlin, München: Langenscheidt. Mummert, I. (1989): Freies Schreiben
mit Phantasie. Literarisches Schreiben
Pommerin, G. (1996): Tanzen die
Wörter in meinem Kopf. Kreatives Schreiben für den DaF-Unterricht.
Ismaning:
Hueber.
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Dieser für das intellektuell-moralische Klima in Deutschland typische Vorgang der Abstraktion, der Vermeidung, hat aber zugleich das geistige Leben und die überschwenglich von den Vermeidern geförderte Literatur selbst mit Abstraktion geschlagen, mit Inhaltslosigkeit und bloßer Virtuosität, ohne daß die in einer Art permanenter Trockenübung erprobten Mittel wirklich etwas aufschließen konnten. Virtuosität ist ein notwendiges Mittel, als Gehalt ist sie der Feind der Kunst. Nachdem vor rund zehn Jahren, ausgelöst von Maxim Biller und Frank Schirrmacher, eine Debatte über den Zustand der deutschsprachigen Literatur entstand (sie ist dokumentiert in dem von Andrea Köhler und Rainer Moritz herausgegebenen Band Maulhelden und Königskinder. Zur Debatte über die deutschsprachige Gegenwartsliteratur, Reclam, Leipzig 1998), die bis vor kurzem intensiv fortgeführt wurde, stellt sich das Bild dieser Literatur inzwischen ganz anderes dar, so daß es möglich wurde, daß der Spiegel in seiner Ausgabe Nr. 41/ 99, die zur Buchmesse 1999 erschienen ist, auf dem Titel sechs junge Autoren als "die neuen deutschen Dichter" und die "Enkel von Grass & Co." abbilden und Volker Hage in der Titelgeschichte mit Recht von einer neuen Generation sprechen konnte, die "lustvoll erzählt". So wichtig diese Literaturdebatte war und ist, weil sie Einspruch erhob gegen ein von der mißverstandenen Moderne und unerkannten apologischen Bedürfnissen getragenes Erzähltabu und Argumente dagegen zur Verfügung stellte, so wenig hat sich allein durch sie das Bild der Literatur verändert, auch wenn sie sicherlich eine Aufmerksamkeit geschaffen hat, die überhaupt den neuen Mut vieler Verlage, deutschsprachige Gegenwartslitertur zu veröffentlichen, möglich machte. Aber was sich verändert hat, ist zweierlei: die Geschichte selbst und das Selbstverständnis der Autoren. Mit dem Zusammenbruch der Ostblock-Staaten 1989, der neuen Dynamik in der Geschichte und den damit einhergehenden, teilweise dramatischen Veränderungen von Biographien und Lebensentwürfen ist dem Erzählen eine neue Notwendigkeit zugewachsen und eine kollektive Erfahrung, die zur narrativen Verdichtung zwingt. Zugleich war die Nachkriegsgeschichte mit dieser Zäsur abgeschlossen und rückte neu in den Blick. Ob es die Tätergeschichten waren, die plötzlich, als müßte eine bestimmte Zeit vergehen, bevor sich das Trauma von Apologie und Verdrängung löst, zum Thema von Romanen wurden, wie in Marcel Beyers Flughunde oder Bernhard Schlinks Der Vorleser, in Judith Kuckarts Die schöne Frau oder in Jens Sparschuhs Der Schneemensch, oder die unmittelbare Nachkriegszeit selbst, in der noch alles offen schien oder die Konturen der Kontinuität sich erst abzuzeichnen gegannen, auch die Konturren einer möglichen Subversion, wie in Heinrich Bölls erst 1992 veröffentlichtem Roman Der Engel schwieg, der schon 1946 entstanden war, in Hans-Ulrich Treichels Der Verlorene oder Uwe Timms Die Entdeckung der Currywurst, ob die Wendegeschichte als Farce erzählt wurde wie in Helden wie wir, als dunkle Komödie in Christoph Brummes Tausend Tage, als Weltalltag und in die Ewigkeit reichende Momentaufnahme aus der ostdeutschen Provinz in Ingo Schulzes Simple Stories, als nachböllsche komisch-melancholische Burleske wie in Jens Sparschuhs Der Zimmerspringbrunnen, ob westdeutscher Nachwende-Alltag als apokalyptische Posse erschien wie in Matthias Altenburgs Landschaft mit Wölfen, in minutiöser und ironischer Versenkung ins scheinbar banale Detail in der Liebes- und Dinggeschichte von Burkhard Spinners Langer Samstag oder als schwermütig-scharfsinniger und witziger Abgesang auf ein häßliches Land wie in Christian Krachts Faserland - eindrucksvoll zeigen diese hier exemplarisch genannten Titel, wie das Erwachen aus der Stockung des historischen Prozesses auch der Literatur neue epische Akzente verlieh. Eine so grandiose, die ganze deutsche
Geschichte dieses Jahrhunders umfassende, ausschweifende Darstellung einer
weiblich gelesenen Historie wie die von Kathrin Schmidts Gunnar-Lennefsen-Expedition
zeugt von diesem neuen epischen Atem, der sich aber auch auf ganz andere
Art in großen und kleinen Entwürfen mit Jugend- und Adoleszenzerfahrungen
in West- und Ostdeutschland befasste, die nach dem Ende der Nachkriegsperiode
selbst zur Vorgeschichte geworden sind, wie in Katja Lange-Müllers
Verfrühte
Tierliebe, Matthias Polityckis Weiberroman, Christoph Heins
Von
allem Anfang an oder Ralf Rothmanns letzten Romanen.
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Alle diese Bücher arbeiten an dem, was Uwe Timm "die Wandlung des Alltags in Bedeutung" nannte, wobei sie ganz unterschiedliche literarische Stategien gewählt haben, aber gemeinsam ist ihnen - so artistisch sie wie etwa bei Politycki auch sein mögen - eine Art realistischer "Erdung" ihrer Texte, die Rückkehr von Erfahrung in einen zeitweilig ganz und gar entleerten Diskurs. Die erzählerische Literatur von Jureck Becker bis Monika Maron, von Gerd Fuchs bis Peter Härtling, von Ernst Augustin bis Uwe Timm, von Gert Hofmann bis Renate Feyl, von Peter Schneider bis Dieter Wellershoff hat es, um nur einige Namen zu nennen, immer gegeben, abgesehen von Heinrich Böll, Günter Grass, Martin Walser, Christa Wolf und Uwe Johnson, aber entweder bestand über viele Jahre keine ästhetische Verbindung mehr zwischen den älteren und jüngeren Autoren, oder die erzählerischen Ansätze wurden als solche oft schon vom Wertekanon des literarischen Diskurses latent abqualifiziert. Die Aufmerksamkeit für Peter Handke und Botho Strauß überlagerte stets, was so herausragende Autoren wie Robert Menasse oder Helmut Krausser schrieben, Maxim Biller oder Hansjörg Schertenleib. Dass die Literatur, die zum Vorbild deklariert wurde, sich nicht selten als unsinnlich, selbstreferentiell- theoretisch, erfahrungslos und leserabweisend erwies, führte zu einem teilweise dramatischen Desinteresse beim Buchhandel und den Lesern und zu fast völliger Ablehnung im Ausland, die interessanterweise seit einigen Jahren wieder einer verstärkten Neugierde gewichen ist. Als 1995 Christian Krachts Roman Faserland erschien, war der Autor 28 Jahre alt. Das war ungewöhnlich in einem Literaturbetrieb, der mit seiner verquasten Vermeidungsrhetorik, seiner Abwehr zeitgenössischer Erfahrung, seiner Ferne zu Fernsehen, Mode, Pop, Unmittelbarkeit, Alltag und gesprochener Sprache - wenn nicht gerade Peter Rühmkorf auf der einen und Uwe Timm auf der anderen Seite dazwischenfunkten - für junge Autoren nicht gerade einladend wirkte. Offenbar gibt es aber inzwischen auch eine neue Generation von Autoren, die sich vom bis dahin herrschenden Diskurs nicht mehr prägen oder einschüchtern ließen. Seit Faserland ticken die Ohren anders. Autorinnen und Autoren wie Elke Naters, Alexa Hennig von Lange, Benjamin von Stuckrad-Barre, Thorsten Krämer, aber auch Silvia Szymanski und Sibylle Berg, Sven Lager und Tobias Hülswitt sind ohne diesen Roman nicht zu denken oder ohne das Klima, das Faserland geschaffen hat. Selten hat ein Debütroman so kontroverse, teilweise haßerfüllte Reaktionen hervorgerufen, selten ist ein Text so schlecht und falsch, so voller Ressentiment und ideologischer Abwehr verworfen worden, während er gleichzeitig sehr schnell zu einem Kultbuch wurde, das aus der Literaturgeschichte nicht mehr wegzudenken sein wird. Der greise Gregor von Rezzori, der durch Zufall die Fahnen des Romans zu lesen bekam, schrieb: "Diese Präzision der Wahrnehmung einer Welt, die nur noch aus Markenartikeln besteht, diese Hellwachheit in der Leere, die Verdammnis zu kollektiven Banalitäten und das feine Unterscheidungsgefühl dabei - das habe ich noch nirgendwo so glasklar dargestellt gefunden." Das Bemerkenswerte an Faserland,
abgesehen von dem Witz, der genauen Beobachtungsgabe, dem kunstvoll-leichten
Parlando-Ton, dem perfekten Gebrauch der Alltagssprache - und hier läßt
das Vorbild Uwe Timm grüßen, dessen Bücher wie ganz wenige
andere für viele der jungen Autorengeneration maßgeblich sind
-, ist der Mut, sich ohne festgezurrten Standpunkt auf die Welt der Jetztzeit,
mit ihren Schönheiten und Schrecken, einzulassen, ohne Katastrophenprogramm,
aber den Katastrophen nicht ausweichend, melancholisch, aber ohne den Vernichtungsfuror,
der im Gefängnis eines verkalkten Modernismus haust.
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Kracht ist ein Moralist wie Bret Easton Ellis oder Michel Houllebecq, über den Thomas Steinfeld in der FAZ schrieb, daß mit Elementarteilchen eine "vormoderne Aufgabe von Dichtung mit großer Kraft" zurückkehre: "die Literatur als moralische Anstalt". Aber dieser Moralismus ist bei Ellis und Kracht einer, der keine Instanz außerhalb setzt, sondern jenseits der großen Koordinatensysteme wie die Peilung der Federmäuse durchs Dunkel führt. Das Inventar, durch das die Reise von Krachts Protagonisten führt, ist das der unmittelbaren Jetztzeit, die in ihren Widersprüchen und Zwängen, in der Häßlichkeit und vereitelten Sehnsucht Gestalt gewinnt und doch die Kälte und Komik, den forschenden Blick auf die Oberflächen, das Gehör für das Geplapper ihre Erdenschwere verliert und ins Schweben gerät. Über diese "Ästhetik des Augenscheins" schrieb Iris Radisch in der "ZEIT": "Ihr Nichtangriffspakt mit der Welt ist die Voraussetzung, sie so kalt zu beschreiben, wie sie vermutlich ist. Die schnöde, respekt- bis mitleidlose Weise, in der sie (die gesprochenen Autoren, M.H.) sich dieser Aufgabe entledigen, ist partisanenhaft und überdies kulturkritischer, als die amtliche Kulturkritik sich träumen läßt". Zu den wichtigen Autoren, die sich auf ganz singuläre Weise der Jetztzeit widmen und sich partisanenhaft darin tummeln, gehören auch Thomas Kapielski auf der einen und Rainald Goetz auf der anderen Seite, komische oder rauschhaftbegeisterte Gottessucher und Mystiker alle beide und von einer Präsenz, die wie eine Arschbombe in den lauwarmen Tümpel des deutschen Literaturbetriebs platzt. Daß es seit Faserland, nicht davon ausgelöst, sondern gleichsam gleichursprünglich, wieder junge Autoren gibt - Benjamin Lebert, Zoë Jenny, Judith Hermann, Jenny Erpenbeck, Julia Franck, Benjamin von Stuckrad-Barre, Thorsten Krämer, Feridun Zaimoglu, Karen Duve, Tanja Dückers, Sabine Reber, Terézia Mora oder Tobias Hülswitt - ist an sich noch kein literarischer Verdienst, aber ein hoffnungsvolles Zeichen neuer Lebendigkeit und der Überwindung einer lebensfernen Ästhetik der mißverstandenen Moderne. Zum ersten Mal seit langem findet die Gegenwartsliteratur dieser verkalkten Republik damit wieder den Anschluß an Entwicklungen im europäischen und anglo-amerikanischen Literaturbetrieb, der uns immer prägt, ohne daß wir ihn stark prägen konnten - bis auf die Ausnahmen etwa von Heinrich Böll, Günter Grass, Christa Wolf, Patrick Süskind, Uwe Timm, Josef Haslinger, Ingo Schulze, Robert Schneider, Marcel Beyer, Lilian Faschinger und jetzt Bernhard Schlink, Benjamin Lebert, Zoë Jenny, Christian Kracht und Elke Naters. Der Vorwurf, daß die zeitgenössische Erzählliteratur dabei weit hinter ein schon erreichtes Erzählniveau zurückfalle, ist abgesehen von der problematischen geschichtsphilosophischen Argumentation, die immer noch am banalen Modell der Linearität haftet, schlicht falsch. Die Autoren, die sich von der selbstreferentiellen Konzeptliteratur befreit haben, schreiben nicht dümmer, unreflektierter, sind nicht unbewandert und naiv, sondern sie gehen auf eine ironische, intelligente, aber unideologische und unverkrampfte Art mit der Literaturgeschichte um, wählen im übrigen eine ganze Vielzahl von literarischen Strategien, so daß man die Literatur der neunziger Jahre sicher nicht mehr in den Kategorien eines Dezennienstils wird beschreiben können. Was sie interessiert und verbindet, sind narrative Modelle, die sich durchaus selbst reflektieren und ironisch brechen, ohne sich im fatalistischen Dunkel der Fragmentierung zu verlieren. Das Erzählen als Wissen um den Zwang, nach dem Ende der "großen Erzählungen" jedes Leben neu erfinden zu müssen, für das Opake unseres je gelebten Augenblicks neue poetische Modelle konstruieren und so etwas wie Zusammenhang neu setzen zu müssen, macht das Erzählen, abgesehen von seiner archaischen, kathartischen Funktion, unwiderstehlich. Martin Hielscher ist Lektor für
deutschsprachige Literatur im Verlag Kiepenheuer & Witsch.
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